Sie saß dort auf ihrem Lieblingssessel. Eingehüllt in eine samtweiche, braune Decke.
Ihr trüber Blick glitt über die triste Winterlandschaft. Eisiger Frost hatte in der letzten Nacht das Feld hinter dem Haus ihrer Eltern in eine kühle Umarmung gezogen. Alles lag in stummer Erstarrung vor ihr. Das Fenster war leicht beschlagen und sie sehnte sich nach einer vertrauten Stimme. Nach diesen ‚Alles wird gut‘- Beteuerungen, die zwar die Situation nicht änderten, aber die Einsamkeit für eine Weile verbannten.
Normalerweise liebte sie den Winter in all seinen Erscheinungsformen. Selbstgebackene Plätzchen, Gerüche von Zimt und Anis, das Knistern im Kamin und allem Winterzauber voran die Menschen, die trotz Arbeit, Alltagsstress und Sorgen, eifrig Weihnachtspläne schmiedeten.
Jetzt war alles anders und sie dachte, dass sie sich nie wieder an dieser Jahreszeit erfreuen würde. Der Winter war trostlos, so wie die Landschaft, die sie seit Stunden anstarrte und ihre Träume waren einfach zerplatzt wie zerbrechliche Seifenblasen.
Lissy hat von heute auf morgen alles verloren.
Job, Partner, Freundeskreis, Wohnung, Hoffnung. Fünf Elemente, über die wir uns mehr oder weniger definieren. Jeder Mensch hat Träume – vom geliebten Job über die erfüllende Beziehung bis hin zur perfekten Eigentumswohnung. Aber manchmal meint es das Schicksal ganz besonders gut mit uns, weil es weiß, dass wir stark genug sind. Stark genug, um alles zu verlieren. Stark genug, um eine ganz neue Richtung einzuschlagen. Stark genug, um erfolgreicher und mutiger aus dem Chaos hervor zugehen.
„Mach dich doch selbstständig.“
Vier Worte, die mein Leben in diesem Jahr nicht nur vollkommen verändert, sondern einfach völlig auf den Kopf gestellt haben. Der Teaser meines Textes ist der Prolog einer Kurzgeschichte, die ich vor ein paar Jahren geschrieben habe. Schon immer habe ich es geliebt, wenn Worte in den schönsten Facetten zu Sätzen verschmolzen. Es ist eine Kunst den Leser in eine eigene kleine Welt zu entführen und genau das wollte ich seit jeher erreichen. Dieses Jahr habe ich den ersten Schritt in die Welt des Wortes gewagt und bin einen ganz neuen Weg gegangen. Mit großen Schritten bin ich über die Grenzen meiner Komfortzone hinweg gestiefelt und habe mich mutig in ein neues Abenteuer gestürzt. Eigentlich hätte ich mich nie getraut dieses berufliche Risiko einzugehen, wenn mir nicht diese alte Kurzgeschichte in die Hände gefallen wäre. Deswegen möchte ich Lissy’s Story mit diesem Blog über meinen Weg zur Selbstständigkeit verknüpfen.
Vielleicht dramatisierte sie die Situation. Vielleicht war alles nur halb so schlimm. Vielleicht konnte sie einfach aufstehen und weitermachen. Aber dann fiel ihr ein, dass sie gar nichts hatte, um weiter zu machen. An einem einzigen Tag hatte sich ihr ganzes Leben vor ihren Augen aufgelöst.
Am Morgen des 09. Mai hatte Tristan sie mit gepackten Koffern in der gemeinsamen Küche empfangen. Mit ihren gepackten Koffer.
Am Mittag des 09. Mai hatte ihr Chef den Arbeitsvertrag mit sofortiger Wirkung aufgelöst. Ihren Arbeitsvertrag.
Am Abend des 09. Mai hockte sie im Haus ihrer Eltern. In ihrem alten Kinderzimmer und konnte keinen ihrer Freunde telefonisch erreichen.
Das alles war jetzt 7 Monate her und noch immer hatte sie keine Kraft weiterzumachen. Ihr Leben war wie ein Kartenhaus in sich zusammen gefallen und sie thronte als einsame Herzkönigin auf dem Schutthaufen aus zerplatzten Träumen, Selbstmitleid und Angst.
Und manchmal müssen wir in solchen Situationen schweren Herzens eine Schaufel zur Hand nehmen.
Stein um Stein, Traum um Traum, neu sortieren bis wieder ein ganz jungfräuliches Gerüst auf einem wackligen Fundament zum Stehen kommt. Als die Trauer der Realität wich, wusste ich, dass es Zeit war etwas zu ändern. Genau wie Lissy es tief in ihrem Inneren wusste, war mir klar, dass dieser vakuumartige Zustand nicht ewig anhalten würde.
Da war ich zweimal auf dem Berufsweg falsch abgebogen und schon befand ich mich in einer Sackgasse. Umdrehen war keine Möglichkeit. Ich musste einen Weg über das Hindernis finden und mir blieb wenig Zeit, denn nicht nur meine eigene Unzufriedenheit saß mir im Nacken.
Bewerbungen kamen in Scharen zurück und wenn ich angenommen wurde, waren es Praktikumsstellen ohne Bezahlung bei voller Arbeitszeit. Zu einer anderen Zeit wären das sicherlich tolle Chancen gewesen, aber in meinem Fall waren es Rückschläge. Ich hatte nicht vor ein Leben lang als Praktikantin zu arbeiten und ohne Bezahlung jeden Abend frustriert in mein Kinderzimmer im Elternhaus zurückkehren. Aber zu diesem Zeitpunkt sah es ganz danach aus, denn es wollte einfach nicht klappen und der anfängliche Mut verließ mich.
Der Neuanfang schien so weit entfernt.
Schließlich saß ich in meinem Zimmer und sortierte gerade meine Unterlagen für die nächste Initiativbewerbung als mir ein Manuskript in die Hände fiel, das ich seit Jahren nicht mehr gesehen hatte.
‚Wenn du mal zweifelst‘
Vier Worte, die in dicken, roten Lettern auf ein Post-it notiert wurden. Die Haftnotiz klebte auf einer Kurzgeschichte, die ich vor Jahren geschrieben hatte. Es war die Geschichte einer Frau namens Lissy, die von heute auf morgen alles verloren hatte, was ihr wichtig war und jetzt nur schwerlich mit der neuen Situation umgehen konnte. Ich erkannte die Schrift auf dem Notizzettel nicht und begann schließlich Lissy’s Geschichte erneut zu lesen.
„Wie lang willst du dich noch vergraben?“ Sie hörte die Worte ihrer Mutter, aber sie hatte keine Lust zu antworten. Immerhin war es ihr gutes Recht zu trauern und zwar solange sie wollte. Um all das, was sie verloren hatte. Um all die nicht gelebten Träume. Um all die ungenutzten Stunden. „Lissy, hörst du mir eigentlich zu?“
Nein, dachte sie bitter.
„Jedes Ende ist ein neuer Anfang. Wir müssen die Chancen, die uns gegeben werden, nutzen, um irgendwann genau da anzukommen, wo wir hingehören. Manchmal ist das Leben nicht einfach. Denn wenn es einfach wäre, wüssten wir unser Glück nicht zu schätzen.“ Sie wusste, dass ihre Mutter Recht hatte und sie wusste auch, dass ihre Schonfrist abgelaufen war. Schon lange. Aber sie hatte weder die Motivation, noch die Kraft sich aufzuraffen. „Sein Talent zu vergeuden, ist auch ein Talent, Lissy. Denk darüber nach und falls du vorhast weiterhin in deinem Selbstmitleid zu baden, dann stelle ich dir später gerne etwas Badezusatz bereit.“ Ihre Mutter wusste in diesem Moment nicht, dass sie ihrer Tochter mit diesem Satz die Augen geöffnet hatte.
Die Erkenntnis traf mich wie ein greller Blitz, der den wolkenverhangenen Nachthimmel durchzuckt. Ich hatte mir vor Jahren selbst einen sehr wichtigen Rat gegeben.
Niemals aufgeben.
Ich erkannte, dass ich mich in einer ähnlichen Situation befand wie Lissy. Träume waren zerplatzt, Hoffnungen zerstört und der Glaube an mich selbst erschüttert. Aber ich erkannte auch, dass es eine Lösung für all meine Probleme gab. Der neue Weg war vielleicht nicht einfach zu beschreiten, aber ich wusste, dass ich es versuchen musste. Fragen über Fragen überfluteten meinen Verstand.
Hatte ich den Mut dazu? Besaß ich das nötige Selbstvertrauen, um mich diesem Abenteuer zu stellen? Wollte ich so viel Verantwortung übernehmen und mein bisher sehr geordnetes Leben für einen ganz besonderen Traum aufgeben? Entschlossen begann ich zu recherchieren. Was musste ich tun, um als Selbstständige durchzustarten? Welche Entscheidungen musste ich treffen? Wie viel Eigenkapital musste ich investieren? Konnte ich auf dem hart umkämpften Markt überhaupt langfristig existieren? Aber welche Alternative blieb mir? Praktikum? Ohne Bezahlung bei voller Arbeitszeit?
Es war ein Risiko, aber ich war mehr als bereit es einzugehen. Meine ersten Wege führten mich – ähnlich wie bei meiner Schicksalsgefährtin Lissy – zu jeglichen Ämtern, Institutionen und natürlich zum Steuerberater. Es dauerte fast einen Monat, bis ich mir einen Überblick verschafft hatte, was alles zu tun war und mit welchen Risiken ich zu rechnen hatte. Als freiberufliche Journalistin und Texterin hatte ich das große Glück, dass sich meine Arbeitsgeräte – der Laptop und mein Verstand – schon in meinem Besitz befanden, sodass ich zu Beginn meiner Selbstständigkeit kaum Anschaffungskosten hatte. Bis auf eine Webseite, Visitenkarten und verschiedene, neue Versicherungen, war ich alles in allem mit meinen Ersparnissen auf einem guten Weg in die Selbstständigkeit. Mein Bruder zauberte ein ganz besonderes Logo und ein frisches, modernes Visitenkarten Design. Er half mir bei der Umsetzung der Webseite, während mich meine Eltern in allen anderen Belangen tatkräftig unterstützten.
War das tatsächlich der Moment, in dem sich alles ändern sollte?
Sie stand vor dem kleinen Ladenlokal in der Innenstadt und beobachtete den Mann, der gerade die großzügigen, einladenden Fenster mit Folie beklebte. Es war jetzt ihr Ladenlokal. Es war ihr Traum, den sie in den letzten Wochen mit Feuereifer in die Tat umgesetzt hatte. Es war ein steiniger Weg, aber sie wollte ihn immer noch gehen. Jeden einzelnen Schritt, möge er noch so schwer sein, auskosten. Ansonsten wäre die ganze Mühe umsonst gewesen und noch einmal zu scheitern, kam gar nicht erst in Frage. Als ihre Mutter gesagt hatte, dass es auch ein Talent wäre sein Talent zu vergeuden, hatte sich in ihr etwas verändert und eine Idee wurde geboren. In den darauffolgenden Wochen durchbrach sie ihre Komfortzone.
Aus dem wackeligen Fundament wurde eine stabile Basis.
Die nötigen Qualifikationen hatte sie im Studium und im Berufsleben erlangt. Die nötigen Erfahrungen hatte sie am eigenen Leib gesammelt. Die nötigen Euros auf einem Sparbuch lange Zeit unangetastet gespart. Die Ironie war, dass sie jetzt einen Beruf ergriff, der die letzten Monate ihres Lebens als wichtige Grundlage beinahe voraussetzte. Ihre zukünftigen Kunden würden Vertrauen zu ihr fassen, weil sie diese Phase selbst durchlebt und den Kreislauf durchbrochen hatte.
Elisabeth Hafner – Motivationscoach.
Sie betrachtete die ersten Buchstaben, die sich nach und nach über die obere, linke Fensterseite erstreckten. Ein zufriedenes Lächeln legte sich auf ihre Lippen und sie fühlte sich seit langer Zeit wirklich gut.
Schreiben war immer mein großer Traum. An der Justus-Liebig Universität in Gießen habe ich meinen Bachelor in Fachjournalistik Geschichte absolviert und an der freien Journalistenschule in Berlin mit einem Journalismus Diplom nachgelegt. Aber waren das wirklich die grundlegenden Voraussetzungen, die mich als gute Journalistin und Texterin auszeichneten?
Immerhin sind zwei abgeschlossene Studiengänge kein Beleg für Kreativität, Leidenschaft und Disziplin!
Genau wie Lissy, war mir klar, dass 30% meiner Tätigkeit erlerntes Wissen waren. Die restlichen 70% waren Talent, das es zu nutzen galt. In Lissy‘s Fall war es das Talent Menschen mit ihrer persönlichen Geschichte zu motivieren und vor ähnlichen Krisen bewahren zu wollen. In meinem Fall war es das Talent aus Worten eine ganz eigene Welt zu erschaffen und Menschen damit zu begeistern.
Der große Traum vom Autoren-Dasein hat sich für mich noch nicht erfüllt. Momentan liegt das aber eher daran, dass ich kaum Zeit finde mich mit meinen Plänen für einen Roman zu beschäftigen.
Denn seit dem 16. März 2015 bin ich unter dem Namen ‚Federleicht‘ als freiberufliche Journalistin und Texterin selbstständig – mit Logo, Webseite und Visitenkarten.
Ich arbeite mit verschiedenen Agenturen und Verlagen zusammen, erledige kleine und große Textaufträge und habe neben der Veröffentlichung eines kleinen Schul-Manuskripts, gerade ein Buch für einen Autor lektoriert. Allerdings war es bis hier hin ein langer Weg und neben der Investition von Zeit, Geduld und Disziplin, musste ich meine persönlichen Erwartungen zuweilen anpassen. Tatsächlich hat es sich aber gelohnt die Risiken – vom Fehlstart bis hin zur schnellen Erkenntnis der Erfolgslosigkeit – einzugehen und ich kann mittlerweile sehr gut von meinen Einnahmen leben. In ruhigeren Monaten sind Zweifel immer noch stumme Begleiter, aber großartige Kunden und Auftraggeber, besondere Projekte und die Unterstützung in meinem Umfeld, lassen mich auch in diesen Augenblicken an mein Talent glauben und vor allem weiter arbeiten!
Ich denke, dass gerade diese kleinen Zweifel im eigenen Geschäft besonders wichtig sind. Sie erinnern uns daran, dass wir uns dieser Sache mit Herzblut verschrieben haben und sie auch genauso ausüben sollten. Das Gefühl jeden Tag ein kleines bisschen mehr erreicht zu haben, ist jetzt ein täglicher Begleiter.
Vielleicht fragt ihr euch grade, ob ich je herausgefunden habe, wer den Post-it auf meine Kurzgeschichte geklebt hat und, ob es wirklich nur Zufall war, dass ich das Manuskript ausgerechnet in dieser chaotischen Lebensphase wiedergefunden habe.
Nein, es war kein Zufall. Es war der Glaube eines anderen Menschen. Der Glaube an mich und an mein Talent.
Dafür bin ich bis heute sehr dankbar, denn meine Selbstständigkeit, Federleicht und alles, was damit mittlerweile zusammen hängt, ist das Beste, was mir passieren konnte. Manchmal sind unsere Träume eben nur einen Sprung weit entfernt. Einen Sprung in das eiskalte Wasser. Im ersten Moment mag es unangenehm sein, aber wenn unser Kopf aus dem kühlen Nass auftaucht, reflexartig nach Luft schnappt und sich unsere Lungen mit neuer Energie füllen, ist das neue Erwachen ein sehr befriedigendes Gefühl.
Und wer weiß, was die Zukunft bringt. Vielleicht bekommt Lissy irgendwann einmal einen großen Auftritt in einem Roman. Denn ihre Geschichte zu erzählen, wäre ein weiteres Ziel auf meinem Weg, der hoffentlich noch viele Kilometer andauern wird.
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Tasia Truss (Mittwoch, 01 Februar 2017 16:07)
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